Samstag, 13. April 2019

Martin Lindner: Die Bildung und das Netz

Kapitelverzeichnis

Redaktionsversion des Textes der Teile 1 bis 7 (Stand von 2017)

Mein Lerntagebuch dazu:
https://fontanefansschnipsel.blogspot.com/search/label/Martin%20Lindner

http://fontanefan.blogspot.com/2019/03/martin-lindner-die-bildung-und-das-netz.html

https://fontanefanopco11.blogspot.com/search/label/Bildung%20und%20das%20Netz

Literaturverzeichnis


Zu Teil 7: Hochschulen, Kap 23
Zu Bolognareform u. Exzellenzinitiative: "Die letzten Reste des emanzipatorischen Geistes der 1970er Jahre ver-flüchtigten sich. Die immer jüngeren Studierenden wurden zu mündigen "Kunden" erklärt, aber zugleich immer mehr zu passiven Konsumenten von "Lehre" gemacht."
"Enthusiastische, zur Selbstausbeutung bereite junge Menschen sind ja tatsächlich die eine Ressource, die Hochschulen im Überfluss besitzen."
"Eine Unabhängigkeitserklärung des Cyberspace (englischer Originaltitel: „A Declaration of the Independence of Cyberspace“) war einer der bis heute einflussreichsten Artikel über die Machbarkeit und Legitimierung von staatlicher Kontrolle und Hegemonie auf das schnell wachsende Internet. Er wurde von John Perry Barlowgeschrieben, einem Mitgründer der Electronic Frontier Foundation, und am 8. Februar 1996 von Davos aus online publiziert. Der Anlass, aus dem er verfasst wurde, war die Verabschiedung des Telecommunications Act von 1996 in den USA. Barlow wandte sich damit unter anderem vehement gegen die Möglichkeit einer Zensur im Internet." (Wikipedia)

Kap 24: MOOCs: Udacity, Coursera, edX

Was bedeutet es bei MOOCs dass sie online sind?
"Die neue Erfahrung ergibt sich erst, sobald die Inhalte und Akteure möglichst vielfältig miteinander verbunden sind. Je mehr Ideen, Fragen und Wissensbruchstücke im selben Raum sind, je mehr verschiedene Personen und Perspektiven es gibt, desto eher kommt es zu Aha-Erlebnissen und in der Folge zu verketteten Lernprozessen. Das gilt nicht nur für die einzelnen LernerInnen, sondern auch für die Gesamtheit der Lehrenden und Lernenden.

Im Grunde beruhten Lern-und Bildungsprozesse schon immer auf Netzwerken und Kettenreaktionen, aber früher war es viel schwieriger, so etwas zu erzeugen. Ein Hochschul-Campus oder ein Hochschul-Institut sind Offline-Lernräume, die das mehr oder weniger gut leisten. Doch erst die digitalen Online-Netze erzeugen eine neue Qualität, die zumindest unterschwellig auch auf die real existierenden Bildungseinrichtungen zurückwirkt. Wenn sie zu stark sind, sich zu verändern, werden sie auf diese Weise jedenfalls immer marginaler und lebloser."


Kapitel 26:
Auswirkungen der Digitalisierung der Lehre im Rahmen der Bologna-Reform
"Das betrifft auch die Studierenden, die eigentlich als "Kunden" im Mittelpunkt der neuen Dienstleistung-Hochschule stehen sollten. Der Bologna-Ära ist ihr Alltag so detailreguliert und durchbürokratisiert wie nie zuvor. Dabei hat sich nicht einmal das Versprechen von Internationalität, Durchlässigkeit und Vergleichbarkeit erfüllt, das an die Standardisierung der Studiengänge geknüpft war. Es ist eher noch schwieriger geworden, Studiengang oder Universität zu wechseln. Und die Abschlüsse der neuen Studiengänge sind für Außenstehende noch viel undurchschaubarer, als sie es ohnehin schon waren.

Auch die Auswirkungen der Digitalisierung auf das Studium selbst sind bisher wenig beeindruckend. Die überwiegende Mehrheit der Dozierenden wie der Studierenden lebt immer noch in der 15 Jahre alten Microsoft Office-Welt, wie aktuelle Studien zeigen: Word-Dokumente werden mit E-Mail versendet, in der Kursplattform schaut man auf das digitale Schwarze Brett, PDF-Materialien werden hinauf- und herunter geladen."

"Seit 15 Jahren ist die Zeit in den Hochschulen stehen geblieben, was die Formen des individuellen und kollaborativen Arbeitens, des Wissenserwerbs und des Lernens im Netz betrifft. Es scheint fast so zu sein, als ob die Forschenden und Lehrenden umso weniger digitale Netz-Medien nutzen, je erfolgreicher als sie im akademischen Wissenschaftssystem sind. Nicht darauf angewiesen zu sein, ist ein Prestige-Signal. Einige Netzwerke von Nachwuchsforschern sind auf dem Weg zu Open Science, Aber das geschieht auf eigene Faust und in ausdrücklicher Opposition zum akademischen Korpsgeist. Was das digitale lernen im Netz und mit dem Netz angeht, gehen fast alle interessanten Experimente der letzten Jahre auf eigensinnige Einzelkämpfer und Einzelinitiativen zurück."

"Insgesamt scheint es mehr Fachhochschulen als Universitäten zu geben, die mit Netztechnologien und neuen Formen des Weblernens experimentieren. An der FH Graz und der FH Darmstadt-Dieburg gibt es Studiengänge für anspruchsvolles Netz-Marketing (Content strategy), die die nötige Web Literacy nicht nur lehren, sondern auch in die Formen des Lehrens und Lernens integriert haben. [...]
Solche jungen Fachhochschulen sind beweglich, pragmatisch und spüren den Rückenwind des neoliberalen Zeitgeistes. Die praxisnahen Studiengänge müssen sich zwangsläufig auf die Digitalisierung einlassen. [...]
Gerade weil sie provinziell sind, könnten die Fachhochschulen am Ende welt- und weboffener sein. Sie werden wohl auch als erste die Impulse aus den Unternehmen aufnehmen, die derzeit tatsächlich beginnen, ihre Arbeitsprozesse ins Netz zu verlagern.
Trotzdem sind auch das bis jetzt auch nur sehr vereinzelte Ausnahmen, die die Regel bestätigen: Das deutsche Hochschulsystem wird weitermachen wie gehabt, solange es nur irgendwie geht."


Die deutschen Hochschulen fühlen sich unterfinanziert, aber ihre öffentliche Förderung steht nicht grundsätzlich in Frage, anders als in den USA und in Großbritannien. Die Leute, die man zur Promotion überredet, bilden eine preiswerte, nie versiegende Ressource. Das funktioniert gut, solange der Nimbus der höheren Bildung, der sich in Deutschland besonders hartnäckig hält, für immer neuen Nachschub von Idealisten und Weltflüchtern sorgt, die die ewige Zeit Vertragsmühle in Gang halten.
Trotzdem kann das auf Dauer keinen Bestand haben. Nicht wegen der großen digitalen Disruption von außen, sondern wegen innerer Aufweichungsprozesse. Sechs große Teilkrisen der Hochschule und wirken zusammen: 
die Krise des Massenstudiums; 
die Krise der Zertifikate; 
die Krise der inneren Organisation; 
die Krise der Forschung; 
die Krise des Wissens; 
die Krise des Studierens als Lebensform. 
Die digitale Netz-Medien verschärfen all diese Krisen, doch sie sind nicht die Ursache. Wohl aber sind Sie ein wichtiger Teil jeder vorstellbaren Lösung. [...]
Die Krise der Zertifikate [...]
Das alte Zertifikatssystem funktionierte im herkömmlichen Beamtenstaat, an dem sich auch die Wirtschaft früher orientierte. Und in der Zeit des Wirtschaftswachstums trafen auch nur relativ wenige Universitätsabsolventen auf einen wachsenden und vielfältigen Arbeitsmarkt. Das ändert sich seit einiger Zeit. Die Arbeitgeber sind eben so verunsichert wie die Studierenden. Für die einen werden immer neue Elite-Zertifikate für Elite-Studiengänge kreiert, um den verlorenen Abstand zur Masse wiederherzustellen, und für die anderen werden konkrete Wissensarbeitskompetenzen immer wichtiger, die man aber gerade an den Hochschulen eigentlich noch nie vermittelt bekam. [...]
Die Krise der inneren Organisation [...]
In Deutschland ist das besonders extrem: es gibt weniger Professoren als anderswo (circa 15 %) und sehr viel weniger Mittelbau-Personal. Diese organisatorische Aufwertung der Professoren ist jedoch nicht verbunden mit dem Rückgewinnung der verlorenen Autorität.
[...]
Die Krise der Forschung [...]
Nach einem Konzentrationsprozess haben heute wenige Konzerne wie Elsevier und Springer das ganze Publikationswesen in der Hand. Daran hängt das ganze akademische Reputationssystem. Seit die Fach-Communities selbst nicht mehr den Überblick über ihr Fach bewahren, wird die wissenschaftliche Reputation quantitativ gemessen – vor allem durch die Zahl der Zitate durch andere Autoren in möglichst angesehenen Journalen. [...]
In Berufungskommissionen liest man gar nicht mehr die Arbeiten, sondern schaut nur noch auf den automatischen citation score. [...]
Das goldene Zeitalter der Sozial- und Kulturwissenschaften war die Epoche der großen Theorien zwischen ca. 1950 und 1990. Damals hatten u.a. die Soziologie, die Systemtheorie, die strukturalen Theorien der Franzosen, die Informations- und Kommunikationswissenschaften, die Kybernetik den Eindruck vermittelt, man würde jetzt die Gesellschaft und die Ökonomie sehr viel besser, gründlicher und weitreichender verstehen. [...] Gleich ob Naturwissenschaften, Sozialwissenschaften, Geisteswissenschaften – die Alleinstellung der universitären Forschung ist verloren. [...]
Die Krise der Studierenden [...]
Auf das Studium zu verzichten, wäre für die meisten ein Eingeständnis des Scheiterns.
Trotzdem gibt es eine Krise der Studierenden, die zur großen Hochschulkrise beiträgt. Auch die Studierenden spüren die untergründige Verunsicherung des Universitätsbetriebs, so wie sie früher an der Selbstgewissheit der alten bürgerlichen Universität teil hatten. Die Studierenden neigen nicht zum Protest – sie sind jünger, sie sind in ein durchorganisiertes Punktesystem eingespannt, um sie herum gibt es keine kulturelle Aufbruchstimmung. Sie studieren ohne große Überzeugung und erwarten sich keine großen Ergebnisse. Sie stellen wenig in Frage. Von den Dozenten wollen Sie vor allem wissen, was man lernen muss, um die nächste Prüfung zu bestehen. [...]
Wenn die Belebung nicht mehr von den Studierenden kommt und nicht mehr vom angstgetriebenen Mittelbau, nicht von den massenpublizierenden Professorenmanagern und am Ende auch nicht mehr von der Gesellschaft, die stolz ist auf die Hochschulen, auf die sie ihre Kinder schickt – woher dann? 

Ein Blick voraus
Dieses Buch hat es mit einem Feld zu tun, das sich laufend verändert. Idealer Weise ist das, was hier steht, nach fünf Jahren noch nicht veraltet. Das wäre 2022, die nahe Zukunft. Dass dann die Universitäten und Hochschulen von außen noch unverändert erscheinen werden, ist eine recht risikolose Prophezeiung. Dennoch nagen die Naturgewalten* der Digitalisierung unablässig an den Fundamenten, und die sechs Krisen werden sich weiter verschärfen. Früher oder später werden sich die Hochschulen verändern, und so oder so werden die digitalen Netz-Medien dabei eine Schlüsselrolle spielen. Drei unterschwellige Treiber werden dazu beitragen:
Erstens werden sich die Grenzen der Hochschule mehr und mehr auflösen, weil die Diversität der Studierenden weiter zunimmt. [...]
Und drittens wird fehlendes Geld eine entscheidende Rolle spielen. [...] Derzeit steht die deutsche Wirtschaft noch außergewöhnlich gut da, ohne dass sich das in mutigen Zukunftsinvestitionen niederschlagen würde. Sobald die Konjunktur nachlässt, und das ist mittelfristig unvermeidlich, werden sich alle Existenzfragen der Hochschulen viel schärfer stellen. Und wenn das Geld fehlt, wird die Lösung immer "Digitalisierung" sein. [...]
Christoph Meinel, der Leiter des SAP-nahen Hasso Plattner-Instituts, hat 2016 seine Vision genauer ausgeführt. Am Ende soll das Datenprofil die lebenslang Lernenden wie eine digitale Krankenkarte begleiten, über Grenzen von Schulen, Hochschulen und sonstigen Einrichtungen hinweg. Die Zugangsgeräte sind dann keine vollwertigen PCs mehr, sondern nur noch eine Art Netz-Terminal.[...]
Ein Netzwerk von Empfehlungen und informellen Zeugnissen ersetzt die herkömmlichen Abschlüsse. Unternehmen suchen sich ihre Leute dann via  LinkedIn, Udacity oder ähnliche Plattformen. [...]

SF Szenario 3 [...]
Die alten Strukturen für Verwaltung und Logistik werden abgebaut. An die Stelle der Mensa treten Starbucks und vegane Fastfood-Ketten, an die Stelle von Studentenheimen die AirBnB-Zimmervermittlung. Die Stimmung unter den Studierenden ist gut, unerreichbares Vorbild und Modell alle Bildungsinstitutionen ist der Google-Campus. [...]
Auch die verbleibende Elite umgeht die Hochschulen und folgt dem Vorbild berühmter Silicon Valley-Studienabbrecher wie dem Tesla-Chef Elon Musk. Ihre Bildung verschafft sie sich über exklusive professionelle Netzwerke. Es gilt als begehrenswertes Statussymbol, wenn man zeigen kann, dass man ein herkömmliches Studium nicht nötig hat.

"Naturgewalt" Digitalisierung ist ein problematisches Bild. Noch können Menschen Entscheidungen treffen. (Fontanefan)

Kapitel 29: Die Offene Universität [...]
Offenes Curriculum [...]
Man kann und soll Curriculum sehr viel weiter verstehen, als es üblich ist. Dale und Kathy Adams (2003) geben folgende Umschreibung: "Das Curriculum umfasst alles, was in der Hochschule und außerhalb der Hochschule im Leben der Lernenden geschieht, sei es geplant oder ungeplant. Dazu gehören alle Ressourcen, die es gibt oder die fehlen: von der Qualität der Lehrenden bis zu einem Stück Kreide, einem Computer usw. Es beinhaltet die Erfahrungen der SchülerInnen, ob geplant oder versteckt. Es hängt ab von dem, was gelehrt oder nicht gelehrt wird, einschließlich der (nicht) verwendeten Bücher und Materialien, der (nicht) behandelten Themen und Fächer, der Abfolge von Kursen, Zielen, Standards… und von den zwischenmenschlichen Beziehungen." [...]
Ein Hauptgrund für die immer weiter zunehmenden Studierendenzahlen ist ja der Drang in die Metropolregionen. Studieren gehen und ein Metro-Leben führen ist für die meisten fast dasselbe. Dort holt man sich einen Großteil der höheren Bildung, dort findet man einen weiteren Horizont und eine Vielzahl von möglichen Anschlüssen, dort ergeben sich die berechenbar-unberechenbaren Zufälle, die am Ende wirklich darüber entscheiden, wo der Lebensweg hinführt. Das Studium ist ein Aufschub, ein Wartesaal und ein Inkubationsraum. Die Altenative wäre die Alternativlosigkeit: in der Provinz zu bleiben und bereits mit 18 Jahren den Berufstunnelblick einzuüben. [...]

Und der Webpionier Dave Weiner schrieb in seinem Blog: "Eine Technologie ein Korallenriff zu nennen, ist das höchste Kompliment, das ich zu vergeben habe. Überall in den tropischen Meeren sind Korallenriffe, die zu wachsen begonnen, als ein Schiff sank und die Meer-Lebewesen es sich aneignen.… Am Ende entstand daraus ein Riff, das viel größer ist als das Wrack, mit dem alles begann.«  Er bezog sich konkret auf Twitter, das damals ganz neu war, aber das größte Korallenriff von allen ist natürlich das Web selbst. [...]
Vielleicht müssen wir uns in Zukunft die realexistierenden Hochschulen, diese Betonburgen und Steintempel, eher wie die Schiffe vorstellen, die Ökologen jetzt schon absichtlich versenken, damit daraus dann neue Korallenriffe entstehen.


Teil 8: Unternehmen und Organisationen

"Lernen wird erst dann zum besonderen Problem, wenn Probleme auftreten. Das war den in den 1990er Jahren der Fall. [...] 1996 rief die EU das europäische Jahr für lebenslanges Lernen aus. Die OECD veröffentlichte das Konzeptpapier Livelong Learning for All, das erstmals direkt an die Einzelnen appellierte.
Seitdem wird jede/r für das eigene Lernen selbst verantwortlich gemacht. [...]
In diesen Jahren benannte man die alte bürokratische Personalabteilung um, die im wesentlichen die Mitarbeiterakten verwaltet hatte. Sie heißt seither Personalentwicklung, weil sie das wertvolle Humankapital , die Ressource Mensch, bewahren und vermehren soll. Man sprach auch viel von Firmenkulturen. Das war schon irgendwie ernst gemeint, wirkte aber trotzdem doppelzüngig, weil ja genau zu dieser Zeit die Organisationen auf schlanke Effizienz und Shareholder Value getrimmt wurden. In der Praxis war es eine Hauptaufgabe der Personalentwickler, Leute auf möglichst humane Art zu entlassen  -"freizusetzen", wie man das nannte. Sie kamen dann in Übergangsorganisationen, wo sich Leute über 45 für einen  Arbeitsmarkt weiterbilden sollen, der an den Älteren trotz aller Fachkräftemangel-Jammereien kein Interesse hatte und hat. [...]

Corporate University
Selbst in Hightech-Unternehmen ist menschliches Lernen und Wissen am Ende messy – unordentlich, vermischt, kontextabhängig und in komplexe Kommunikationsprozesse eingebunden. Man muss sich das wie eine Art Ökosystem vorstellen, nicht als Apparat – Intelligenz plus Learning Analytics.

Das Wiki-Unternehmen Synaxon

"Unternehmensinformationen wurden mit Media Wiki, der Wikipedia Software ins Netz gestellt. Das Intranet wurde zum Extranet, dass von Welt Netz nur durch eine Passwortschranke getrennt ist. Alle anderen Systeme wurden abgeschaltet. Seitdem kann jeder/r alles ändern, auch sensible Geschäftsprozesse und Entscheidungen mit Folgen für das Budget. Roebers berichtet gern vom Fall einer Werkstudentin, die durch einen eigenmächtig veränderten Einkaufsprozess dem Unternehmen eine sechsstellige Summe einsparte, als Ihr Vorgesetzter im Urlaub war. Die Geschäftsführung beobachtet laufende Änderungen an besonders kritischen Stellen. Im Extremfall hat sie ein Vetorecht, aber dieses Veto wurde noch nie gebraucht
Synaxon ist zu einem Unternehmen geworden, das sich weitgehend selbst organisiert. Man ist so schneller, effizienter und flexibler geworden.[...]
Diese Idee von Führung besteht darin, herkömmliche Führung abzuschaffen.
In der Folge hat dass Wiki-Unternehmen Synaxon noch weitere kollaborative Netz-Software eingeführt, um die Kollaboration und den Informationsfluss weiter zu verbessern. Es gibt Instant Messaging (direkte Chat-Verbindungen), Yammer (eine Art Twitter für Unternehmen, dass auch E-Mails ersetzen soll) und ein Firmen-Blog. Der Erfolg gibt Roeber Recht: der Mitarbeiterstamm ist seit der Wiki-Wende ungefähr konstant geblieben, aber man erledigt ein Viertel mehr an Aufgaben – ohne dabei mehr zu arbeiten.
Die radikale Wiki-Strategie von Synaxon ist eine Ausnahme geblieben. [...]
Der lange Weg zum Selbstlernen [...]
Die real existierende Software, die größere Unternehmen für Weiterbildung und Talentmanagement einsetzen, ist sehr weit davon entfernt, ein umfassendes und selbstbestimmtes Lernen der MitarbeiterrInnen zu unterstützen.
Mittelfristig wird sich das Problem wohl dadurch erübrigen, dass sich wie bei Synaxon die gesonderten Abteilungen für Weiterbildung und Personalentwicklung allmählich auflösen. Kurze, intensive Drillphasen, in denen es um ganz kurzfristig benötigte Skills geht, wird es weiterhin geben, online oder offline, aber darüber hinaus wird Lernen und Arbeiten ineinander verschwimmen. Dann wird nicht mehr neue Software für das Lernen eingeführt, sondern der ganze Arbeitsplatz zum Web-Arbeitsplatz umgestaltet. [...]

Soziales Lernen im Web gibt es erst seit fünf Jahren, und nur einige Pioniere haben damit wirklich schon intensive Erfahrungen. An vielen Stellen wird immer neu bei Null begonnen, oft mit viel Enthusiasmus, aber ohne große Kenntnis von den Erfahrungen die es schon gibt. [...]
Neben solchem DIY-Content sind Blended Learning und Mobile Learning die wichtigsten Trends: Wie vermischt man am besten das Lernen im physischen Raum so mit dem Lernen im Netz, dass sich eine einheitliche (blended) Erfahrung ergibt? Und wie kommuniziert man Lerninhalte, wenn sie nicht mehr auf Schreibtisch-PCs aufgerufen werden, sondern auf mobilen Geräten? In einigen Fällen werden ganze Lernprogramme gezielt für Tablets produziert, die man zwischendurch so zur Hand nehmen kann wie früher ein Lehrbuch. [...]
Lernen auf mobilen Geräten erfordert in der Praxis, dass Inhalte in möglichst granulare und minimalistische Form heruntergebrochen werden müssen. [...]
Also alles, was in einen knappen Blogeintrag passt. Komplexere Inhalte müssen deshalb in kleinere, für sich stehende Elemente zerlegt werden, die möglichst nicht viel länger sind als das was man auf einer Bildschirm-Ansicht erfassen kann (Microcontent). Nicht nur aus kosten gründen, sondern auch weil solche Mikro-Inhalte auch am besten zu selbstbestimmten und eigenmotivierten Lernprozessen passt, die sich möglichst bruchlos in den Arbeitsalltag einfügen.[...] 

Prozesslernen  [Das Lernen von klar definierten Arbeitsschritten ist im Grunde Drill und kann deshalb vorgegeben sein.]
"Die Call Center waren nur die Vorboten eines Taylorismus 4.0, der erst durch die Vernetzung möglich wird. Wie an einem digitalen Fließband "fließt" hier der digitalisierte Arbeitsgegenstand von Arbeitsschritt zu Arbeitsschritt bis zum Kunden. Das betrifft am Ende alle InformationsmitarbeiterrInnen, die es mit komplexen, aber vorstrukturierten Feldern zu tun haben – das betrifft etwa auch Tätigkeiten die bisher studierte Juristen verrichten. Die Handlungsspielräume werden dabei immer kleiner. Der Takt wird von Ticketsystemen vorgegeben, die die Einzelnen ständig mit Aufträgen versorgen. [...]
Drill ist nicht gleich Drill. Es macht einen sehr großen Unterschied, ob ich ihn als ein Mittel erlebe, das mir selbst hilft, meine Welt besser in den Griff zu bekommen, oder als etwas, das vom Vorgesetzten vorgeschrieben und kontrolliert wird. [...]
Ob E-Learning funktioniert, ist am Ende meistens keine Frage der raffinierten Mediendidaktik, sondern der Arbeits- und Organisationskultur. Es sind die zwei Seiten der Digitalisierung, die sich überall zeigen. Auf der einen Seite eröffnen die digitalen Netz- Medien einen neuen sozialen Handlungsraum für die Einzelnen. Auf der anderen Seite entsteht ein "Kontrollpanoptikum der Daten", das uns ins Fadenkreuz nimmt.
Wenn im Bildungsdiskurs wieder einmal "die Digitalisierung" und "die Wirtschaft "beschworen wird, muss also die erste Frage eigentlich immer lauten: Welche  Digitalisierung? und welche Wirtschaft?.
Produktlernen [Das Kennenlernen eines Produktes mit seinen Vorteilen und seinen Problemen ist erkundendes Lernen und sollte daher selbstgesteuert sein.] [...]
Motorsägen sind ein handfestes Produkt für Leute, die Authentizität schätzen. Die erkennbar selbstgemachten Videos verleihen dem Unternehmen und seinen Produkten Glaubwürdigkeit. Damit folgt man instinktiv der inneren Logik des Web, die das Cluetrain Manifesto schon 1999 erklärte, als es YouTube noch gar nicht gab:
"Unternehmen sprechen nicht in derselben Stimme wie diese neuen, vernetzten Konversationen Im Web. In den Ohren ihrer Online-Adressaten klingt das hohl, flach, nicht menschlich.… In ein paar Jahren wird die stereotype, immer gleiche Stimme der Unternehmen so künstlich und verschraubt klingen wie die Sprache am Hof von Ludwig XIV."


Was passiert, wenn nicht nur die klassische Büroarbeit, sondern auch die übrige Facharbeit sich zunehmend ins Netz verlagert? Wenn jeder Vorgang nicht nur eine zusätzliche digitale Dimension bekommt, sondern wenn diese digitale Dimension in den Vordergrund rückt? Das betrifft nicht nur die Akten, die Projektpläne, die Konzeptpapiere und die ganze Kommunikation, die damit verbunden ist. Dann wird auch ein neues Produkt zuerst mit Software entworfen und gebaut. Erst sehr spät entsteht daraus ein echtes physisches Gebilde. Die Produktion wird immer mehr automatisiert und ausgelagert. Die eigentliche Wertschöpfung findet im digitalen Raum statt.
Alle digitalisierten Vorgängen sind nicht mehr an einen Ort gebunden. Das gilt auch für die Teamarbeit. Sobald dieser Punkt erreicht ist, befinden wir uns im Informationsraum, der zum Fundament der Arbeitswelt der Zukunft wird (Boes/Kämpf 2016 [Digitalisierung und"Wissensarbeit": Der Informationsraum als Fundament derArbeitswelt der Zukunft]). Der Informationsraum ist ein eigenständiger Raum, der entsteht, wenn sich die Entwicklung, die Produktion, die Lieferketten, die verketteten Arbeitsvorgänge und auch die ganze Vermarktung ins Netz verlagern. Jetzt geht es nicht mehr bloß darum, herkömmliche Prozesse mit moderne IT immer noch umfassender und effizienter zu organisieren. Und es geht auch nicht mehr bloß darum, dass überall in den Produktionshallen und Lieferketten künftig Sensoren und Chips sein werden. Fast alles, was zählt, geschieht künftig nicht mehr in den Bürogebäuden und Werkhallen, sondern im Informationsraum. Und d.h.: auch nicht mehr im lokalen Computer, sondern im Netz, im Web und in der Cloud.
Die Arbeit der Zukunft bearbeitet digitale Objekte. Das ist künftig die eigentlich konkrete Ebene. Früher pendelte man zu einem festen Arbeitsplatz, um sich dort ins Firmennetzwerk einzuklinken. Jetzt ist alles Wichtige im Netz-Computer und auf dem Screen. Früher traf man sich ständig zu Besprechungen im Konferenzraum. Jetzt trifft man sich im Netz. [...]
Die wichtigsten Produkte sind künftig die Ideen und die Baupläne, die Organisations-und Datenmodelle, die Drehbücher und die Prozesse. Selbst das Industrieprodukt ist definiert durch seine vollständige Beschreibung. Der neueste Hightech-Laufschuh existiert primär in digitaler Form, als Blaupause, als Design, als Kostenkalkulation, als Schnittpunkt von Lieferketten. Ob es dann eine Maschine in China oder in Oberfranken ist, die den Adidas-Schuh am Ende ausdruckt, ist sekundär. [...]
Sogar Programmierkenntnisse werden immer unwichtiger, denn wie alle standardisierten Aufgaben wird künftig auch das Programmieren zu großen Teilen automatisiert. D.h. umgekehrt, dass alle Leute, die künftig noch einen wertvollen Beitrag liefern wollen, die Fähigkeit zum ganzheitlichen Blick brauchen werden. In Zukunft muss jede/r einzelne die komplexen Ketten und Zusammenhänge erkennen, in denen er oder sie arbeitet – und sei es, um sich rechtzeitig nach einem neuen Job um zu schauen, wenn sich absehen lässt, dass das Geschäftsmodell nicht mehr trägt. Künftig gilt: man muss keineswegs selbst alles können und beherrschen, aber man sollte mit anderen, die das können in möglichst direktem Kontakt stehen. Je isolierter und einseitiger die eigene Arbeit, desto schlechter sind die Aussichten. Im Prinzip gilt das nicht nur für Edel-Ingenieure in weltweiten Unternehmen, sondern auch für KMUs [https://de.wikipedia.org/wiki/Kleine_und_mittlere_Unternehmen] in der Region, für das Handwerk, für Pflege- und Gesundheitsberufe. [...]

Außerhalb von Nischen wird es künftig nur noch zwei Sorten von Menschen geben: die einen arbeiten und lernen im vorletzten Information Raum. Und die anderen haben schlechte Karten. (Oder ein größeres Vermögen geerbt.) [...]

Man kann im Netz jederzeit ganz neue Sichtweisen finden – von Praktikern wie von Theoretikern. Dort nimmt man vieles gleichsam aus den Augenwinkeln war, so wie man im alten Büro nebenbei mitbekam, womit die Kollegen sich gerade beschäftigen. Aber auf eine andere Weise verengt sich die Wahrnehmung auch wieder zu einem Tunnelblick eigener Art. Sehr viel mehr ist sichtbar, aber alles kommt durch einen Bildschirm. Der digitale Informationsraum kann leicht die Tiefenschärfe verlieren. Am Ende vermischt sich dann alles zu einem verwirrenden Nebeneinander.
Auch künstlich erzeugte 3D-Welten ändern daran prinzipiell nicht viel. Man gewinnt dort zwar eine dritte visuelle Dimension. Das macht Präsenzerfahrungen neuer Art möglich, aber zugleich verliert man auch viele feine Abstufungen und Peripheriewahrnehmungen, wenn man den Informationsraum als räumliche Kohlenstoffwelt modelliert.

Das Web ermöglicht zu dagegen eine 360-Grad-Erfahrung eigener Art – jedenfalls den Menschen, die sich in abstrakten Text-& Welten zu Hause fühlen. In jedem Fall ist es aber für alle, die sich im digitalen Information Raum aufhalten, ein großes Problem, dass Wahrnehmungsfeld der Breite und in der Tiefe zu strukturieren. Wir sind das immer noch nicht gewöhnt. In der Praxis macht man das, in dem man zwischen verschiedenen Programmen und Apps hin- Und her wechselt. Das ist der Grund, warum sich Internet-einheimische so gerne über ihr jeweiliges Setting und ihren digitalen Workflow austauschen.
Wie sich der Blick in den Informationsraum für die verschiedenen Bedürfnisse und Nutzertypen strukturieren lässt, wird sich erst in den nächsten Jahren nach und nach herausstellen. Jedenfalls wird nicht nur die Arbeitswelt, sondern auch die Bildungslandschaft der Zukunft in irgendeiner Weise blended sein, also eine neuartige Synthese von analogen Kohlenstoffwelt-Begegnungen und digitalen Netz-Erfahrungen. Für das Design von reichhaltigen Wissenslandschaften und Lernerfahrungen ist das auf absehbare Zeit eine große Herausforderung.
Weil das so schwierig ist, wird sich für die nächsten Jahre und vielleicht Jahrzehnte eine neue digitale Kluft bilden: zwischen denen, die für sich eine gute Mischung (einen Blend) finden, und denen, die nur den engen Tunnelblick und das große, verwirrende Durcheinander kennen. Weil sich viele Leute künftig im Netz weiterbilden müssen, um sich zu behaupten, entsteht hier ein großer Bedarf nach Hilfestellung und Orientierung. Nötig ist LearnerExperience Design jenseits von Inhaltspräsentation und Stoffvermittlung, und zwar gerade für die Leute, die sich nicht an Schreibtischen zu Hause fühlen. Die konventionelle Didaktik ist darauf nicht annähernd vorbereitet. [...]


Arbeitsplatzlernen sollte man besser Arbeitsprozesslernen nennen. Denn man lernt während des Arbeitsprozesses für den nächsten Arbeitsschritt. Die Information sucht man sich dann aus dem Netz. Dafür ist nötig, dass "selbstbestimmte LernerInnen im Netz ihren Weg finden. Hier ist auch der Ansatzpunkt für den so genannten PerformanceSupport. [...] es macht aber einen großen Unterschied, ob man selbst die Hilfsfunktion aufruft, wenn man sie braucht, oder ob man von außen angesprochen wird. Viele erwarten, dass hier künftig auch Chat-Bots eingesetzt werden, also intelligente Programme, denen man frei formulierte Fragen stellen kann. Das setzt allerdings ein Fachgebiet voraus, dessen Semantik gerade auch in seinen Unschärfen sehr präzise erfasst ist.
An vielen Stellen ist es sinnvoller, auf soziale statt auf künstliche Intelligenz (KI) zu setzen. Dann wird man, wenn sich Probleme ergeben, auf eine Art Hilfe-Button klicken. Eine interne Suchmaschine zeigt dann die besten Tipps und Tricks, die Kollegen dazu schon geteilt haben. Das könnten dann etwa Erklärvideos sein, die Schritt für Schritt einen Lösungsweg zeigen, oder auch Links zu Blogposts und Botschaften aus dem Netzwerk. Vielleicht ist die KI auch einmal leistungsfähig genug, um solche Hilfen aus den praktischen Erfahrungen alter NutzerInnen zu extrahieren und in passender Form anzubieten. Derzeit ist das nicht abzusehen. [...]
Trotzdem kann und soll man jetzt schon anfangen, dieses ganzheitliche Verständnis vom Lernen im Arbeitsprozess zu entwickeln. Gottfredson/Mosher (2011) bringen das auf die Formel der Five Moments of Need. Das sind fünf verschiedene Phasen im ständigen professionellen Weiterlernprozess, in denen man jeweils ganz unterschiedliche Hilfen und Kompetenzen braucht. Diese Phasen bezeichnen sie verkürzt mit New, More, Apply, Change, Solve. [...] 
Digitale Bildung beginnt mit dem täglichen Workflow. Wie weit wir da in den nächsten Jahren wirklich über gut gemeinte Rhetorik und folgenlose Leuchtturmprojekte hinaus gelangen werden, ist nicht sicher. Aber sehr wahrscheinlich werden die wichtigsten Impulse nicht aus den Schulen und Hochschulen kommen, sondern aus den mehr oder weniger mittelständischen Unternehmen, die ihre Zusammenarbeit mit Hilfe von digitalen Netz-Medien neu organisieren."

Teil 9: Handbuch für Guerilla-LernerInnen


34 | Guerilla-Lernen
"[...] die VUCA-Situation: Volatile, Uncertain, Complex, Ambiguous. Im Fluss, ungewiss, komplex, vieldeutig", ursprünglich für das Militär im Guerillakampf formuliert, ist die Situation des selbständig lernen Wollenden im Netz.
In der Pädagogik wurde solches Lernen gelehrt von Paul Freire (Pädagogik der Unterdrückten, 1968),  Illich (Die Entschulung der Gesellschaft ,1971) und Illich (Tools for Conviviality, dt.: Selbstbegrenzung. Eine politische Kritik der Technik, 1975) 
"Der neue Begriff Personal Computer wurde von Stewart Brand geprägt, der um 1970 den Whole Earth Catalog herausgab und 20 Jahre später das Silicon Valley-Zentralorgan Wired gründete. [...]
Audrey Watters, eine Bloggerin und Publizistin, die die Bildungsindustrien und Bildungsideologien des Silicon Valley scharfsinnig kritisiert"  setzt auf  "die sozialen Praktiken der Open Source-Softwareentwicklung [...] Zuerst müssen wir entscheiden: Welche Bildung wollen wir? Dann erst: Welche Technologien brauchen wir? [...] Einige der wichtigsten Silicon Valley-Leitfiguren sind bekennende Ayn Rand-Fans und kommen von privaten Montessori-Schulen: Larry Page (Google), Jeff Besos (Amazon) und sogar Jimmy Wales (Wikipedia). [...]
Das Peeragogy-Konzept des kalifornischen Hippie-Veteranen Howard Rheingold bündelt die Ansätze dieser Richtung. Diese "Peeragogik" ist keine Pädagogik (von der Erziehung Unmündiger abgeleitet), sondern eine Heutagogik (Lehr/Lern-Beziehungen unter Gleichberechtigten, und Mündigen). [...]
Nur in den kurzen Experimentierphase, in denen der Digitalkapitalismus Atem holte, war die Wirkung der Kombination PC/Netz ganz unzweideutig emanzipatorisch – im Ur-Web zwischen 1994 und 1998 an und dann noch einmal in der Blütezeit des graswurzelhaften Web 2.0 zwischen 2002 und 2008. [...]Auch die Daten der ersten Online-Surfer wurden schon durch die Kupferkabel-Netzknoten durchgeleitet. Man konnte Leitungen anzapfen und abhören wie schon beim Telefon, aber es gab noch nicht die große Cloud, in der einfach alles zwischengespeichert wird. Die ersten Cloud-Apps des Web 2.0 waren isolierte Spezialdienste. Alles war im wesentlichen gratis, weil die Startups ihr Geld von spekulierenden Risikoinvestoren bekamen. Erst um 2008 fingen Google und Facebook wirklich an, Geld zu verdienen, weil es ihnen immer besser gelang, die aggregierten Daten auszuwerten. Zur selben Zeit baute Amazon seine monströse Daten-Infrastruktur Elastic Cloud, die es nicht nur für das eigene Geschäft benutzt, sondern an unzählige weitere kleinere Web-Firmen vermietet. Und wie sich später herausstellte, begann auch die NSA genau in diesen Jahren, das alte Google-Motto auf ihre ganz eigene Weise zu interpretieren: "Die Informationen der Welt zu organisieren und zu jeder Zeit zugänglich zu machen". [...]
Bildungsinstitutionen werden sich am Ende einen ähnlich umfassenden Zugriff auf alle Bildungsdaten verschaffen wollen, wie in Google, Apple und Co. Im kommerziellen Sektor jetzt schon haben."

35 | Digitale Literanz


Da ich nicht das vollständige Buch verlinken kann, verlinke ich hier - so weit sie mir auffallen - noch Wikipediaartikel und Aufsätze, die Einzelaspekte des Buches ausführlicher behandeln als ich.

Leitmedientransformation – oder: das geht nicht wieder weg



AXEL KROMMER: Wie Medien Wissen und Lernen prägen. 12.4.19
"[...] Während Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken als Kernkompetenzen für das 21. Jahrhundert ausgerufen werden (vgl. Muuß-Merholz 2017), gilt es unter Abiturbedingungen als Form von Betrug, wenn man mit anderen spricht oder gar zusammenarbeitet.  Perelman hat bereits 1992 auf diese Schieflage hingewiesen:
„Academia’s way of accounting focuses on tests of individual performance in strict, austere isolation from cooperation with others or use of resources or tools outside the learner’s head. The role of collaboration or technology in learning is placed in the category of cheating. This mythical and misguided vision is, fortunately, being eroded by a mass of social and cognitive science findings that there are limits to what can be learned alone, and that the most effective and useful learning is a shared enterprise.“ (Perelman 1992, S. 155-156)[...]"

"[...] Außerdem verändern sich in diesem System vernetzter Fakten die „stopping points“ (Weinberger 2011, S. 21). Gemeint sind die Punkte, an denen man eine Recherche legitimerweise beenden kann. Sie sind notwendig, weil wir es uns nicht leisten können, jedes Faktum bis zu seinen Ursprüngen zurückzuverfolgen. Lexika sind beispielsweise wichtige und vertrauenswürdige stopping points der Buchkultur: Wer 1983 die Einwohnerzahl einer Großstadt ermitteln wollte, konnte den Brockhaus aufschlagen, fand dort eine in der Regel nicht mehr ganz aktuelle Zahl und tat dennoch gut daran, die Suche zu beenden.
2019 sucht man online und findet bei der Wikipedia die gesuchte Einwohnerzahl – allerdings eingebunden in ein Netz von Hyperlinks, in dem weiterführende Informationen nur einen Klick entfernt sind. Wo stopping points gesetzt werden sollten, wird nicht mehr durch institutionalisierte Filtermechanismen bestimmt. Das verändert das Konzept des Wissens als System von stopping points fundamental und es verändert die Kompetenzen, die wir benötigen, um Wissen zu erwerben (vgl. Krommer 2014).
Wie sich die Struktur, die Speicherung und der Zugriff auf Informationen unter den Bedingungen der Digitalität verändert, kann am Konzept der Metadaten erläutert werden. Wenn man Bücher als materielle Objekte – z.B. in einer Bibliothek – in eine Ordnung bringen will, muss man sich für genau einen Ort entscheiden, an dem ein Buch platziert wird. Ein und dasselbe Buch kann nicht in zwei Regalen gleichzeitig stehen. Wenn die Bibliothek nach Autorennamen sortiert wird, ist sie – merkwürdige Zufälle ausgeschlossen – nicht gleichzeitig nach Gattungen oder nach Erscheinungsjahr geordnet.
Um neben der physischen Anordnung der Bücher, die sich z.B. alphabetisch am Namen des Autors orientiert, noch weitere Ordnungssysteme zu schaffen, könnte man für jedes Buch mehrere Karteikarten anlegen, auf denen Informationen über die Bücher zu finden sind und die man dann nach unterschiedlichen Kriterien sortiert. So entsteht ein System von Metadaten, d.h. von Daten (z.B. Erscheinungsjahr, Name des Autors, Entstehungsjahr etc.) über Daten (=die Eigenschaften der Bücher). Unter analogen Bedingungen sind die Metadaten stets weniger komplex als die Daten, auf die sie sich beziehen. Eine Karteikarte über ein gedrucktes Buch enthält weniger Informationen als das Buch selbst.
Das ändert sich, wenn Bücher digital vorliegen. Nun können im Prinzip alle Daten gleichzeitig auch zu Metadaten werden. So genügt z.B. die Eingabe eines bestimmten Begriffs in eine Suchmaske, um Bücher zu finden, in denen dieser Begriff auftaucht. Man muss nicht hoffen, dass jemand eine Karteikarte mit dem entsprechenden Schlagwort angelegt hat. In den Worten Weinbergers (2007, S. 104): „[T]he only distinction between metadata and data is that metadata is what you already know and data is what you’re trying to find out.“
Wie wirkmächtig das Paradigma der Typografie ist, kann man an der typischen Struktur einer Festplatte ablesen. Hier werden Dateien implizit so behandelt wie materielle Bücher, die man in sorgfältig beschriftete Regale einsortiert. Die Festplatten-Regale haben Bezeichnungen wie c:\Uni\WS-2019\Hauptseminare\Deutsch\Fontane und die Festplatten-Bücher, die darin aufbewahrt werden, bekommen möglichst sprechende Namen (z.B. Effi-Briest-Interpretation.docx). Anders gesagt: Es wird viel Arbeit darin investiert, Ordner- und Dateinamen zu Metadaten mit Orientierungsfunktion zu machen. So wie man in einer Bibliothek gezielt durch die Regale navigiert, um ein Buch zu finden, gleicht jeder Mausklick durch die Struktur der Festplatte einem Schritt auf dem Weg zum Auffinden der gesuchten Datei.  [...]"

Philippe Wampfler über Skinner-Apps



Lisa Rosa: Lernen anleiten im digitalen Zeitalter. Verstehen und praktizieren 

populärwissenschaftlich:
Als Lehrer taugt der Computer nicht SZ 23.4.19

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