Dienstag, 22. November 2011

Nachteile des TMS durch Lernen durch Lehren vermeidbar?

Die dritte offline-Sitzung des Open Course Workplace Learning (ocwl11) befasste sich mit dem Transaktiven Gedächtnis. Meine direkten Kommentare gebe ich beim dortigen Blogbeitrag ab. Hier möchte ich darstellen, inwiefern ich einen interessanten Bezug zwischen der Theorie vom Transaktiven Gedächtnis und seiner möglichst effizienten Nutzung und "Lernen durch Lehren" sehe.

Jean-Pol Martin glaubt, dass die folgenden (im Blogbeitrag angeführten) Probleme des transaktiven Gedächtnisses durch LdL vermeidbar seien oder doch zumindest minimiert werden könnten:

Die Probleme gibt es, wenn:

  1. verschiedene Labels für gleiches Wissen verwendet werden
  2. Experten die Gruppe verlassen
  3. die Gruppe sich auflöst
  4. es Kommunikationsschwierigkeiten gibt
  5. man die Wissensdomäne der anderen nicht kennt
  6. die Verantwortungszuteilung unklar ist
  7. zu große Spezialisierung der Experten stattfindet
  8. das System nicht ausgereift ist und noch keine Expertise gebildet wird


Problemminimierung durch Lernen durch Lehren:
Zu 1: Weil die Wissensbildung gemeinsam erfolgt, wird im Regelfall unter gleichem Label abgespeichert. Wenn der Lehrer den Verdacht hat, dass das nicht geschieht, kann er eingreifen.
zu 2: LdL soll die Gruppenteilnehmer schnellstmöglich vom ursprünglichen Experten, dem Lehrer, unabhängig machen, weil alle Gruppenmitglieder - außer dem Lehrer - Lehraufgaben übernehmen.
zu 3: Es gilt dasselbe wie bei 2. Jedes Mitglied wird in Selbständigkeit geschult, aber natürlich geht bei der Auflösung Wissen verloren. (Nicht umsonst klagt J-P Martin noch heute darüber, dass er nicht mehr seine Schüler hat. ;-))
zu 4-8: Kann man sich jetzt selbst ausrechnen, was da wohl stehen wird? Dann kann man das vielleicht in einen Kommentar schreiben.


Als über Videos im Internet mehr Praxisbeispiele von "Lernen durch Lehren"  bekannt wurden, stellte sich heraus, dass die theoretische Darstellung von LdL eine weniger aktive Rolle des Lehrers suggeriert, als sie tatsächlich vorliegt. Der Lehrer lehrt ja nicht selbst, er lässt ja die Schüler lehren, aber: Selbstverständlich muss er sich vergewissern, dass die Schüler genügend geeignetes Material haben, anhand dessen sie lehren können. Er muss sie zum Methodenwechsel anleiten und sie dafür mit den verschiedensten Methoden vertraut machen. Schließlich muss er ständig den Lehrprozess begleiten und gegebenenfalls durch Hilfen unterstützen. Wichtig ist dabei aber, dass die Hilfen stets nur den lehrenden Schülern gegeben werden, nicht der Gruppe.
Bei so angeleitetem LdL zwingt sich der Lehrer, das Spezialwissen weiterzugeben, von dem er vor dem Lehrvorgang noch nicht wusste, dass es dazu gehört. Und die Schüler kommen immer wieder in vertauschte Rollen. Jeder Schüler, auch der erfolgsgewohnte, erfährt sich immer wieder als jemand, der weniger zu dem Stoff weiß als seine sonst weniger erfolgreichen Mitschüler, die jetzt aber die Lehrenden sind. Andererseits kann er aufgrund seines Erkenntnisinteresses etwas aus den Lehrenden herausfragen, was diese noch nicht als wichtig erkannt haben.
Dabei wird gleichzeitig die Unterscheidung von wichtig und unwichtig gelernt und andererseits, dass sie - je nach Interessenlage -  individuell unterschiedlich zu beantworten sein kann.  

Als mit Weiterbildungsspezialisten für Unternehmen über "Lernen durch Lehren" gesprochen wurde, hieß es, LdL könne dort nicht funktionieren, weil dort aus Kostengründen immer nur kurze Schulungskurse stattfinden könnten.
Heißt das, dass wegen der Vorteile des transaktiven Gedächtnisses  Schulungen grundsätzlich nur in der Arbeitsumgebung (workplace learning) stattfinden sollten?

2 Kommentare:

  1. Sieht man sich das Arbeitskolloquim der Abteilungen (z.B. unseres Instituts) an, können die Lernenden (die z.Z. an etwas Forschenden) zu Lehrenden werden, indem sie den anderen zeigen, woran sie gerade forschen. Und dies mit wenig Schulungsaufwand (ca. 1,5h / Woche).

    Ob das im Firmenkontext sinnvoll ist, weiß ich jedoch nicht. Es könnte hilfreich sein, die z.Z. laufenden Projekte in der Gruppe zu besprechen (um z.B. Fehler zu finden, Ideen zu sammeln, etc.), die Frage ist, ob das Kosten/Nutzen-Verhältnis so groß ist, wie an der Universität.
    Andererseits kann ich mir eine "Schulung am Arbeitsplatz" zu generelleren Themen (wie beispielsweise Kommunikationskompetenzen o.Ä.) durchaus in diesem Umfang vorstellen. Jeder Arbeitnehmer (oder kleine Gruppen) ist zuerst der Lernende, weil er sich Wissen zu einem Thema aneignet und wird dann zum Lehrenden, indem er das Wissen den anderen, z.B. in solchen Kolloquimssitzungen, beibringt. Gleichzeitig wird er der Experte auf diesem Gebiet, sollte also jemand später Wissen zu diesem Thema benötigen, weiß er, wo er es findet.
    Somit eigentlich kleiner Aufwand und doch eine "Schulung am Arbeitsplatz" mit Hilfe des Transaktiven Gedächtnissystem-Konzepts.

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  2. Besten Dank für den Hinweis auf die Situation an der Uni sowie auf die Übertragungsmöglichkeit auf Unternehmen. In beiden Fällen fehlt freilich jemand, der das Lehren anleitet. Doch der könnte nach anfänglicher Schulung vielleicht wegfallen.
    Ganz ohne Schulung dürfte es freilich nicht gehen, denn Methodeneinerlei wie ständige Powerpointvorträge könnte das Lernen von Lernern wie auch von Vortragenden arg behindern.

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